Blogeintrag
WEF-Studie zu Jobverlusten durch die Digitalisierung fraglich
Das World Economic Forum rechnet mit abenteuerlicher Daten-Basis
Das WEF ging dieser Tage mit der Meldung durch die Presse, die vierte industrielle Revolution würde bis 2020 weltweit 5 Millionen Jobs kosten. Die Zahl ist eigentlich erstaunlich klein, wenn man sich die aktuelle Gesamtsituation vor Augen führt: in 2015 haben wir bereits weltweit 197 Millionen Arbeitslose – und damit 27 Millionen mehr als vor der Krise von 2008/2009. Diese Zahlen präsentiert die International Labour Organisation (ILO) in ihrem Bericht für 2016. Und sie prognostiziert allein in den nächsten 2 Jahren weitere Jobverluste in Höhe von 3,4 Millionen.
Man kann natürlich trefflich darüber streiten, wie viele Jobverluste direkte Folge technischer Ersetzbarkeit sind. Sicher ist: Automatisierung wurde und wird auch zukünftig in allen industriellen Revolutionen (und auch den Phasen dazwischen) eingesetzt, um menschliche Arbeit zu ersetzen. Sicher ist aber auch: einfache Ableitungen von technischer Machbarkeit führen nicht zu eindeutigen Zahlen möglicher Beschäftigungseffekte. In einer Studie unseres Lehrstuhls haben wir uns in dieser Hinsicht schon mal kritisch mit der Methodik von Frey und Osborne auseinander gesetzt, die 47% der Jobs im amerikanischen Arbeitsmarkt gefährdet sehen. Während Frey und Osborne sich aber ihrer Einschätzung mit aufwändigem, methodischen Design nähern, geht die Studie des WEF schlichter vor:
Befragt wurden die Personalchefs der größten Arbeitgeber der Welt, die 13 Millionen Beschäftigte repräsentieren würden. Das klingt beeindruckend und die Presse nimmt auch die Selbstbeschreibung der Studie als einmaliger Datensatz unkritisch auf. Einmalig ist der Datensatz, beeindrucken ist er aber nicht. Denn: Macht man sich die Mühe und liest nicht nur die Zusammenfassung sondern sammelt auf unterschiedlichen Seiten die verstreuten Informationen zum methodischen Vorgehen auf, ergibt sich folgendes Bild:
Angesprochen wurden vom WEF die 100 größten Unternehmen in 9 Industrien plus die jeweils 50 größten pro Land (wenn diese nicht schon in der anderen Selektionsgruppe beteiligt waren dabei). Insgesamt kommen so 2.450 Unternehmen zusammen, deren Personalvorstände eingeladen wurden, an einer Online-Befragung teilzunehmen. Nur 371 Unternehmen haben mitgemacht.
371 Fragebögen – eine Rücklaufquote von gerade mal 15 Prozent. Wie viele genau aus Deutschland sind, lässt sich nicht erschließen. Dem Bericht lässt sich dazu nur entnehmen: 46% der Befragten aus Deutschland seien Unternehmen mit über 50.000 Beschäftigten gewesen. Wie aussagekräftig ein Blick in die größten Unternehmen ist, wo doch KMU und auch die öffentliche Hand in den meisten Ländern dieser Erde – und insbesondere Deutschland – für Beschäftigung von größerer Bedeutung sind – auch das ließe sich kritisch anmerken.
Nun wäre das aber durchaus eine interessante und methodisch ordentliche Studie, wenn sie unter dieser Fragestellung liefe: Was denken Personalchefs großer Unternehmen über die digitale Zukunft und Beschäftigungseffekte? Die WEF-Studie aber geht darüber hinaus, und ab hier wird die Sache wirklich methodisch fraglich: Denn sie leitet aus den Aussagen der 371 Befragten prozentuale Hochrechnungen für ganze Branchen und Länder ab. Das ist methodisch leider mehr als wacklig. Das sollte man sich bewusst machen, bevor man sich mit den Zahlen – ob zustimmend oder ablehnend – beschäftigt.
Hier unsere Studie zum AV-Index.